Nachhaltige Entwicklung als Schicksalsfrage

von Alfred W. Strigl

Was keiner sagt, das sagt heraus

Wohin geht der Menschheit Entwicklung? Wie kann die Menschheit bei soviel Leid und Zerstörung einen Weg finden, der sie nicht weiter in diese Sackgasse führt? Die Menschheit verwandelt Antlitz und Leben auf diesem Planeten viele tausend Mal stärker als alle Naturgewalten zusammen. In weniger als hundert Jahren haben wir die Hälfte aller Wälder gerodet, haben wir die Hälfte aller Fische in den Weltmeeren geplündert, haben wir drei von zehn Lebensarten ausgerottet – unwiederbringlich.

Ist das der Menschheit Entwicklung, dass wir zerstören, verwüsten? Wir werden bald acht, bald zehn Milliarden Menschen sein. Jährlich kommen 80 Millionen Erdenbürger hinzu – einmal Deutschland. Gleichzeitig verlieren wir durch unsere Agroindustrien alle fünf Jahre fruchtbaren Boden im Ausmaß Deutschlands – durch Versteppung, Verkarstung – an die Wüste. Pro Kopf ernten wir mittlerweile so wenig Getreide wie ein halbes Jahrhundert nicht mehr. Die Lager sind leer. Doch alle Menschen wollen ein würdiges Leben, wollen ernährt, gekleidet, gebildet werden. Wie soll das – nachhaltig – gut gehen?

Seit mehr als zwanzig Jahren verbrauchen wir Menschen für unseren Wohlstand mehr als Mutter Natur uns schenkt. Lebten alle Menschen wie wir Europäer, bräuchten wir drei Erdenplaneten. Lebten alle Menschen wie die US-Amerikaner, bräuchten wir sechs. Menschen aus dem armen Süden kommen mit einem Zehntel unseres Naturverbrauchs aus. Auch das Anhäufen von Gütern macht Menschen nicht glücklicher. Müssen wir genügsamer werden?

Was keiner wagt, das sollt ihr wagen

Warum glauben wir gerade im Wirtschaften ans grenzenlose Wachstum? Als gäbe es hier auf Erden das ewige Leben zu erschaffen! Haben wir den Tod so weit verdrängt, dass wir vergessen haben wie alles Anfang und Ende nimmt? Unsere Kultur, und damit auch das Wirtschaften, ist eine einzige Flucht vor dem Sterben, ein Verdrängen des Alterns und Vergehens. Psychologen meinen, dass diese Art des Wirtschaftens, das kein Schrumpfen, kein organisches Vergehen gelernt hat, nie zukunftsfähig wird. Arroganz und Dekadenz werden heute kultiviert. Doch nachhaltiges Wirtschaften hat Demut und den Tod zu lernen!

 

Ich liebe die Erde. Ich liebe die Menschen. Ich glaube an die Menschen – fröhliche, glückliche, lachende, singende und tanzende Menschen. Auch an die, die weinen, glaube ich. Ich glaube an jeden einzelnen Menschen wie auch die Menschheit als kollektives Wesen. In jedem Menschen sehe ich das Edle und ich sehe zugleich auch mich. Ich glaube an das achtsame und heilsame Tun, an das würdevolle und barmherzige Tun. Erhaben, liebend und tatkräftig ist das Wesen der Menschheit. Wir sind es, die Himmel und Erde verbinden. Die Engel, sagt man, beneiden uns darum.

 

Das Ganze, sagen die alten Griechen, besteht aus dem Guten, Schönen und Wahren. Wenn alle drei harmonisch kommunizieren, entsteht Edles. Auch die Nachhaltigkeit besteht aus drei Dimensionen: Natur, Gesellschaft und Wirtschaft. Alle besitzen eigene Qualität und Würde, eigene Kraft und Logik. Alle sind mit unterschiedlichen Maßen zu messen, haben Eigenwert. Doch nur wenn sie harmonisch miteinander kommunizieren entsteht neben einem einzigen Zahlenwert wieder eine Vielzahl edler Werten, die uns Hoffnung und Heimat geben.

 

 

Was keiner denkt, das wagt zu denken

Nachhaltiges Leben zu erlernen brauchen wir Schulen und Akademien der Nachhaltigkeit – echte  Lebensakademien, die wieder Hirn, Herz und Hand verbinden. Nachhaltige Entwicklung muss Köpfe, Herzen und Hände gewinnen. Hoffnungsfrohe Bilder einer besseren Zukunft können die verkrusteten Denkstrukturen auflösen. Der Durchbruch steht unmittelbar bevor! Zahllose Kristallisationskeime der Nachhaltigkeit sind gelegt. Die Masse bleibt davon nicht unberührt. Die Lebensstile der Gesundheit und Nachhaltigkeit – Lohas (Lifestyle of health and sustainability) – und  technische Innovationen versöhnen sich im Namen der Vernunft. Das gibt Hoffnung zum Quadrat.

  • In Bildung und Politik wird Nachhaltigkeit zum Megatrend.
  • Biologische Lebensmittel boomen im Supermarkt.
  • Fair gehandelte Waren finden wir an jeder Tankstelle.
  • Kleider aus organischer Baumwolle kommen in Mode.
  • Waren ohne Kinderarbeit gehören langsam zum Muss.
  • Fahrrad und öffentlicher Verkehr werden immer attraktiv.
  • Wir bauen Häuser, die gelernt haben, Energie zu liefern, statt zu fressen.
  • Unsere Gelder legen wir nach ethischen Gesichtspunkten an.
  • Mikrokredite, meist in Händen von Frauen, verwandeln die Erde.
  • Sanfter Tourismus und achtsames Reisen nehmen stetig zu.
  • Grüne Chemie erschafft abbaubare Kunststoffe ohne schlechtes Gewissen.
  • Unsere Welt zeigt Alternativen wo das Auge nur hinfällt…

Nachhaltigkeit ist vom zivilen Ungehorsam zum gesellschaftlichen Generalthema geworden. Ganze Regionen verschreiben sich einer Idee, deren Zeit gekommen ist. In den Niederlanden gibt es ein Management der Transition, das alle Ministerien in ein übergreifendes Konzept einbindet, damit der Übergang zur Nachhaltigkeit gelingt. Schweden hat beschlossen, bis 2020 ohne Öl auszukommen. Güssing, im Süden Österreichs, ist mit großem wirtschaftlichem Erfolg in wenigen Jahren zur energie- und stromautarken Region geworden. Die Schweiz kehrt der Verschwendung den Rücken und will durch effiziente Lösungen die erst 2000-Watt Gesellschaft werden. Dänemark und Österreich sind Vorreiter im Biolandbau, der schon ein Fünftel des Landwirtschaftens erreicht.

Was keiner anfängt, das führt aus

Afrikaner habe ich einmal sagen hören: „Wenn Du schnell gehen willst, dann gehe allein. Wenn Du weit gehen musst, dann gehe mit allen“. In Wirklichkeit brauchen wir eine Neuentdeckung, die Neuerfindung des Gehens. Wir erreichen mehr durch Entschleunigung. Die Wiederentdeckung der Füße ist angesagt. Unser Lebensweg ist ja ein Lebensgang. Als Student schon hatte ich nicht die Zeit, um mit dem Rad oder gar dem Auto zu fahren. Das lenkt viel zu sehr vom Wesentlichen ab. Lieber bin ich eine Stunde zu Fuß zur Uni gegangen. Da konnte ich denken, sinnieren, im Langsamen das menschliche Maß entdecken.

Diese Lebenshaltung habe ich von meinem Großvater. Noch heute sehe ich uns mit Sensen Grasmähen. Damals habe ich die Kraft ebenmäßigen Gleichschritts gelernt – wie beim Pilgern. Doch auch hier scheinen wir das Wesentlich vergessen zu haben. Heute pilgern wir, als ob wir vor uns und der Welt davon rennen. Und wenn wir nach Wochen am lang ersehnten Ziel ankommen, katapultieren wir uns per Auto oder Flugzeug in wenigen Stunden wieder heim. Haben wir verlernt, dass jahrhunderte der Rückweg gleich lang dauerte wie der Hinweg? Die zweite Spielhälfte im Pilgern heißt Heimgehen. Erst hier wandelt sich, was im Pilgern gefunden wurde. Heimkehren zum Wesentlichen, das ist es, was wir geistesgegenwärtig und tatkräftig für die „Zukunftsfähigkeit“ brauchen. Wer sich selbst und seine kleine Welt verwandeln lernt, meistert die größten Dinge des Lebens.

Lass uns denn also im Namen der Menschlichkeit ein neues Zeitalter beginnen, eine neue Dimension entfalten! Alles was wir zur Transition in dieses neue Zeitalter brauchen ist Mut und Entschlossenheit. Längst erkennen wir die Notwendigkeit und wissen um unsere innere Weisheit. Der Zauber des Neubeginns wird uns beschützen, die Kraft der Verwandlung dabei führen.

Eine nachhaltige Entwicklung kann in drei täglichen Übungen gestärkt werden:

  1. Einmal am Tag ans Vergehen, Sterben und den Tod denken
  2. Mit eigenen Füßen gehen, langsam gehen, wann immer möglich
  3. So viel wie möglich lachen, um heimzukehren zu sich und den Menschen

Über den Autor: DI Dr. Alfred W. Strigl (geb. 1966) ist Geschäftsführer von p l e n u m – Gesellschaft für ganzheitlich nachhaltige entwicklung gmbh in Wien. Er  ist Vorstandsmitglied des Österreichischen Instituts für Nachhaltige Entwicklung mit Sitz an der Universität für Bodenkultur in Wien. Alfred Strigl ist Mitglied des Österreichischen Rats für Nachhaltige Entwicklung, Präsident von ESD European Sustainable Development und war 2002 Mitglied der österreichischen Delegation am World Summit on Sustainable Development in Johannesburg.

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PS: Was bewegt dich/Sie? Welche Visionen hast du/ haben Sie?  pberger@networld.at

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